Sandra Niebuhr-Siebert im Gespräch mit Pascal Fischer
Erzählende Texte prägen unser Verständnis von der Welt. Mit ihnen bekommen Kinder erste Weltbilder präsentiert und der Grundstein für das spätere Leseverhalten wird gelegt. Sandra Niebuhr-Siebert ist Professorin für Sprachpädagogik und Erzählende Künste, über Texte und Bücher für die Jüngsten, die sehr genau darüber Auskunft geben, wie divers eine Gesellschaft wirklich ist und wohin sie steuern möchte.
Die Diskussionen um politisch korrekte Wörter bei „Jim Knopf“ und „Pippi Langstrumpf“ zeigt: Die Gesellschaft traut auch Kinderbüchern große Prägekraft zu. Deshalb haben sich solche Texte in den vergangenen Jahren vermehrt den großen Baustellen unserer Gesellschaft zugewandt: Rassismus, Homophobie, Gender trouble, Ableism und so weiter, meist in wohlmeinender Absicht. Jedoch haben deutsche Kinderbücher gegenüber beispielsweise denen aus den USA einen Nachholbedarf beim Thema Rassismus. Und Behinderungen werden in Kinderbüchern manchmal verharmlost, Behinderte marginalisiert oder stigmatisiert, trotz aller gutgemeinten Absichten der Verfasser. Denn im Hintergrund wirken ganz unterschiedliche Konzepte von Empowerment oder Diskriminierung. Zwischen Publikum, Minderheiten und Mehrheiten, Lektorat und Kinderbuchjurys gibt es eine Menge Diskussionsbedarf.
Sandra Niebuhr-Siebert ist Präsidentin der FH Clara Hoffbauer in Potsdam, zudem Referentin für die Stiftung Lesen. Sie lehrte zuvor an der Universität Hannover, der HU zu Berlin und der Universität Paderborn. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit den Themen Lesesozialisation, Spracherwerb, Mehrsprachigkeit und Inklusion. Außerdem hat sie den Juryvorsitz beim KIMI-Siegel für Vielfalt in Kinder- und Jugendbüchern.